Über mich

ich

"Und jetzt???"

Schleinitzstraße 8, Braunschweig, Studentenwohnheim. Hans kocht in der Küche der ersten Etage, ich in der Küche der dritten. Heute keine Mensa. Stattdessen: Wir beide sind heute dran, für die Verbindungsbrüder zu kochen. Wir haben die Arbeit aufgeteilt, jeder ist für eine andere Komponente des Mittagessens zuständig.

Und wenn Hans am Herd nicht mehr weiter weiß, dann brüllt er durch's Treppenhaus: "Und jetzt???"

Also: Wenn ich ihm vor 5 min gesagt habe, dass er Zwiebeln anbraten soll, dann kann ich ihm jetzt bestimmt sagen, dass er das Hack­fleisch in die Pfanne geben kann. Aber jetzt gerade muss ich doch die Paprika­schoten putzen und schneiden, verdammte Hacke!, die müssen doch auch in die Pfanne, es muss doch alles gleichzeitig gar werden! Ich kann mich doch jetzt nicht um Hans' Geschäft kümmern!

"Hackfleisch dazu!!! Anbraten!!!"

Irgendwie denke ich, dass ich aus Trotz gegen Hans' "Und jetzt???" die Leiden­schaft zum Kochen entwickelt habe. Immerhin würde mir diese Vermutung den Vorteil verschaffen, dass ich mit Hans als Zeugen behaupten könnte, dass ich seit meinem zwanzigsten Lebensjahr koche. So ungefähr.

Aber vielleicht … hat es bei mir auch schon früher angefangen mit dem Kochen, schon in der Kinder­zeit. An besonderen Tagen saß ich am Küchen­tisch und hatte diverse kleine Schalen vor mir: eine mit Hafer­flocken, eine mit Kakao, eine mit Zucker, eine mit Rosinen, eine mit … Und dazu eine Flasche Milch. Das war mein kindlicher Warenkorb. Wie schmecken Haferflocken, wenn man sie mit etwas (oder etwas mehr?) Kakao vermischt und etwas Milch dazu gibt? Oder sollte man in den Eier­becher mit dieser an sich schon pro­bierens­werten Mischung nicht auch noch einige Rosinen geben?

Oder war es ein anderes Kinderspiel? An heißen Tagen: ein Balkon­fußboden aus staub­trockenem Zement. Eine gefüllte Gießkanne. Das Wasser von verschiedenen Standorten aus vorsichtig aus­gießen. Schauen, wie die Flüsse zuerst getrennt von­einander strömen und sich dann an über­raschenden Stellen vereinigen. Flüsse nicht versiegen lassen, vorsichtig nach­gießen! Kurz, bevor die Gieß­kanne leer ist: Große Lache machen? Oder die Flüsse separat erhalten, auch wenn sie dann langsam austrocknen werden?

Mir sind diese Stunden selbstvergessenen Spielens noch immer in Erinnerung.

Zu Beginn der Studienzeit, noch vor der Affäre mit Hans, war ich in den tief­sten kulinarischen Keller abgestiegen: Ich habe ganz oft und immer wieder Hering in Tunke in Büchse gekauft, und zwar: Meerrettich-Tunke. Immer nur die. Und immer wieder die. Ich kann es heute kaum noch fassen. Irgendwann wurde es Zeit, sich freizuschlagen. Die Küche des Stu­denten­wohnheims wurde so etwas wie der Ort der Befreiung für mich. Und Hans mein Zucht­meister, der mich immer wieder auf­gefordert hat, mir klarzu­machen, was ich da eigentlich tue. Ich kann mich noch an unser Lieb­lings­rezept erinnern: Ser­bisches Reis­fleisch. Was daran serbisch war, weiss ich nicht. Wahr­scheinlich nur die Erinnerung an einen der überaus zahl­reichen Besuche im jugo­slawischen Restaurant "Der lustige Bosniak" (dem das Lachen viele Jahre später bestimmt vergangen ist). Beim ser­bischen Reis­fleisch kam es darauf an, eine möglichst große Menge Zwiebeln und Knob­lauch in die Pfanne zu prak­tizieren und sie irgend­wie mit Hack­fleisch zu versetzen. Naja, und mit einigen Büchsen­tomaten und etwas Paprika. Im fort­ge­schrittenen Stadium meiner geringen Kennt­nisse kam dank Benjamin getrockneter Thymian dazu. Das habe ich wirklich als eine sensa­tionelle Steigerung meines kuli­narischen Vermögens empfunden! Und wirklich: Das Reis­fleisch mutete beinahe schon ita­lienisch an, und vor allem: Es schmeckte viel besser!

Irgendwann im Leben eines jeden Nord­europäers ist eine Gruppenreise in ein dänisches Ferien­haus unaus­weichlich. Hvide Sande am Ring­købing Fjord war das Ziel, und Hvide Sande meinte es gut mit uns: Das Haus war wunderbar, und das Wetter auch. Vor allem aber der Fischladen in Hvide Sande hatte es mir angetan: fang­frischer Fisch perfekt vorbereitet für den Koch, der keine Ambitionen hat, Fisch­anatomie zu studieren. Meine Mit­reisenden haben mir auf Nachfrage erlaubt, etwas mehr Geld für die Lebens­mittel­beschaffung auszugeben, und ich wurde zum Stammkunden im Fischladen. Es war herr­lich! Und ich glaube, es hat auch – gemessen an meinen immer noch gerin­gen Fähig­keiten – recht gut geschmeckt. Der Urlaub endete mit einer Fopperei, auf die ich halb und halb herein­geflogen bin. Am letzten Tag mussten die Vorräte, die man im großen Stil aus Deutsch­land mitgebracht, aber falsch berechnet hatte, auf­gebraucht werden. Was gibt es in solchen Fällen? Na klar: Schinken­nudeln in Büchsen­tomaten-Sauce (mit einem Krü­mel getrockneten Thymian!). Meine Mit­reisenden bauen sich nach dem Essen, kurz bevor wir ins Auto steigen, im Halb­kreis um mich herum auf, legen einen leicht feuchten Glanz auf ihre Augen und sagen mir: "Das war aber jetzt das beste von all den vielen Essen, die Du uns hier gekocht hast …"

Ich war kurz davor, mich wüst zu empören ob der kulinarischen Inkompetenz der Reisegruppe, als der Sprecher dieser Banausen ein Geschenk für mich, das er hinter dem Rücken versteckt gehalten hatte, hervorholte: ein dänischer Rühr­besen mit dickem Teak­holz­griff. An der Aufhänge­öse hatten meine Mit­reisenden ein Band befestigt, und so bekam ich den "Rührbesen-am-Band"-Orden für hervor­ragen­des Kochen verliehen. Schluss mit der Empö­rung! Aber nie wieder Schinken­nudeln!

in der Küche
Minze

Frisch ausgestattet mit dieser eher schmalen kulinarischen Basis bin ich in die Ehe gestartet. Meine Schwiegereltern mochten nach eigenem Bekunden kein Lammfleisch. Mein Widerspruchsgeist sagte mir: Jetzt erst recht! Auch wenn Du es noch nie gemacht hast. Wenn die am Sonntag kommen, kriegen sie Lammhaxe. Also: Haxe parieren und anbraten, Karotten, Knoblauch, Zwie­beln und Lauch dazu, und dann: Rotwein, Rosmarin, Römertopf. "Das schmeckt ja gar nicht nach Lamm …" Ein schwäbisches Lob, wie es schöner und deutlicher nicht sein kann: Ich hatte überzeugt! Auch das eine wichtige Bestätigung meiner immer noch deutlich erweiterbaren Kochkünste.

Die nächste Zeit war ich dann eher mit Brei-Kochen als mit Bocuse beschäftigt. Katharina hat ihren Brei auch immer tapfer geschluckt, auch wenn er nach meinem Gefühl die Konsistenz von Frischbeton hatte und auch immer etwas angebrannt geschmeckt haben muss, so heftig wie ich den Topf nach jeder Mahlzeit mit Edelstahl­schwamm und Bürste bearbeiten musste. Dr. Holle Milchbrei – ich weiß es noch wie heute. Mirjam hat den Brei verweigert und hat auch sonst nicht alles gegessen, was man ihr aufgetischt hat. War sie schon immer eine Feinschmeckerin? Die Kleinkinderzeit bedeutete kulinarischen Stillstand.

Gelsenkirchen: meine nächste Etappe. Eine klitzekleine Wohnung, aber dennoch einige Experimente und einige Menüs mit Kollegen am frisch erworbenen IKEA-Glastisch. Der hat die Küche, die gleichzeitig als Esszimmer dienen musste, so sehr ausgefüllt, dass man dort eigentlich nicht kochen konnte, ohne sich in Hüfthöhe blaue Flecken zu holen. Einen Abend erinnere ich besonders: Nämlichen Glastisch hatte ich vollgepackt mit kleinen kalten Köstlichkeiten, Bier war ausreichend da, und auch das Putzen der Wohnung hatte ich nicht vergessen. Eigentlich hätte es ein schöner Abend werden können – aber auf einmal brach ein Streit zwischen zwei Kollegen los, der mit aller Erbitterung geführt wurde: Ist Elektrotechnik oder ist Informatik die wahre Wissenschaft? Für welche Anschauung kämpfst Du, liebe Leserin? Ich verschanze mich hinter der Küchentür, wenn irgend jemand meint, eine solche Frage stellen zu müssen. Naja, schlussendlich hat mein Kücheninventar überlebt, alles war aufgegessen, und am nächsten Tag habe ich gespült. Weil Spülen geistig nicht sehr fordernd ist, bot sich mir eine gute Gelegenheit, über die Streitfrage meditieren. Zu einer Lösung bin ich nicht gekommen. Ich habe mir nur gedacht, dass man das Thema von einer so abstrakten und hohen Ebene angehen müsste, dass ein Streit ausgeschlossen ist, und dass man – während man auf dieser hohen Ebene lustwandelt – stets den Koch mit seinen blauen Flecken loben sollte, der die niederen Arbeiten macht.

Kiel: meine nächste Etappe. Zuerst wieder eine klitzekleine Wohnung. Und auch ein klitzekleiner Kühlschrank. Wenn man kochen lernen will, ist ein klitzekleiner Kühlschrank das Beste, was einem passieren kann. Warum? Der Liebe Gott hat die meisten Gemüse so erschaffen, dass eine Einzelperson ein Gemüse-Exemplar bei einer Mahlzeit kaum komplett bewältigen kann. Der Rest kommt in den Kühlschrank. Für Nudelpackungen, Gewürz­gurken­gläser, Tomaten­mark­tuben usw. gilt das Gleiche (auch wenn die nicht vom Lieben Gott erschaffen worden sind). Ist der Kühlschrank klein, kriegt man nicht so viel rein. Man kann nicht für jede Mahlzeit neu einkaufen gehen – immer wieder muss der Kühlschrank zumindest teilweise gelehrt werden. Was man dabei lernt, nennt man auf Deutsch food pairing, genauer gesagt food pairing extreme. Was muss weg? Was passt zusammen? Was hält noch, könnte aber ausnahms­weise passen? Was hast Du noch nie probiert? Weil der Kühlschrank so klitzeklein ist, ist das Angebot nicht so groß – die Wahl muss sorgfältig getroffen werden. Zusammengefasst: Es gibt keine Spiegelei-Erweiterung, die ich noch nicht gegessen habe. (Spiegelei passt immer und zu allem.) Und bei der ich nicht eine weitere Erkenntnis über die Möglichkeiten der Lebens­mittel­kombi­nation gelernt hätte. Alexander Herrmann nennt das "Kochen mit Warenkorb". Ich finde, das schult. (Wenn ich jetzt so lese, was ich da gerade geschrieben habe, dann habe ich mich in Kiel doch wesentlich intelligenter angestellt als in meiner Anfangszeit in Braunschweig, wo ich immer das Gleiche gegessen habe. Obwohl die äußeren Bedingungen doch gewisse Ähnlichkeiten hatten.)

Heute immer noch in Kiel, aber jetzt mit einer top Küche, einer Kammer und einem großen Kühlschrank. Vor allem aber: mit Maria! Ich bin riesig glücklich, dass wir uns (nicht nur) in kulinarischen Fragen so außerordentlich gut verstehen. Ich weiß gar nicht, wie ich die vielen Einladungen zum Abendessen, die wir ausgesprochen haben, ohne sie hätte bewältigen können. Wenn viele Leute kommen, muss man schneller werden, und man muss sich viel besser organisieren, aber das reicht nicht. Ohne Maria mit ihrer unbestechlichen Zunge, ihrem tätigen Einsatz und ihrer manchmal fälligen Nothilfe hätte nichts von allem funktioniert. Naja, nicht nur, wenn Gäste kommen, kochen wir zusammen, sondern auch, wenn's was auszuprobieren gibt, das über den daily business hinausgeht, z.B. komplizierte Nudelkonstruktionen wie Ravioli oder Momos. Danke, Maria! Bevor ich's vergesse: Maria hat nicht nur eine unbestechliche Zunge, sondern auch ein unbestechliches Auge – das zur Gestaltung dieses Kochbuchs kräftig beigetragen hat. Nochmals: Danke, Maria!

So, liebe Leserin, jetzt weisst Du fast alles über mich, und Du kannst Dich vom Computer losreißen und in die Küche gehen. Zum Kochen!